02. Juli 2024

Sulzbacher „Blaulichtpfarrer“ legt Talar und Einsatzjacke ab - Rolf Kiwitt geht in den Ruhestand


Anfang 1992, vor über 32 Jahren, fing Rolf Kiwitt als Pfarrer in der damaligen Ev. Kirchengemeinde Altenwald an. Im Saarland prägte der bodenständige Gemeindepfarrer insbesondere die Notfallseelsorge, zu deren Gründervätern er gehört. Nun legt er Talar und Einsatzjacke vorläufig ab.

Der 14. Juli war immer ein besonderer Tag für ihn. Am französischen Nationalfeiertag 1991 wurde Rolf Kiwitt zum Pfarrer ordiniert. 33 Jahre später, von denen er 32 im Sulzbachtal wirkte, wird er zufällig wieder am 14. Juli in den Ruhestand verabschiedet, nach „zwei Gemeindefusionen, ca. 1000 Täuflingen, 400 Trauungen, 800 Konfirmand:innen, leider zu vielen Beerdigungen und zahlreichen Seelsorgegesprächen“, wie er seine Bilanz zusammenfasst. Doch eins nach dem anderen.

Geboren 1958 am Niederrhein, wuchs Rolf Kiwitt in Essen auf. Sich selbst bezeichnet er als „Bergbau-Kind“, denn viele männliche Verwandte waren im Bergbau tätig. Sein Vater war Markscheider, was ihn zu seinem ersten Berufswunsch als Schüler inspirierte: Geophysik.
Dass er dann doch Pfarrer wurde, sei das Ergebnis „einer Überlegung“ gewesen, erzählt Kiwitt. Schon zu Schulzeiten hatte er sich ehrenamtlich in der Jugendarbeit engagiert. In dieser Zeit wurde ihm bewusst, dass er im Berufsleben mit Menschen zu tun haben wollte. Es folgte ein Theologiestudium in Wuppertal, Heidelberg und Bochum, wobei insbesondere die Station in Heidelberg für Kiwitt wesentlich werden sollte.
Damals, Anfang der 80er-Jahre, lehrte dort der Theologe Klaus Berger, der ihn stark prägte. Berger habe gelehrt, „man muss immer abwägen, ob ein Bibeltext seine Zeit hat oder ob er uns heute nichts mehr sagen kann“, so Kiwitt. Später, in Bochum, kamen sozialethische Überlegungen dazu, sodass in ihm ein theologisches Profil reifte, das zu seinem Markenkern werden sollte.

Sein Motto: Kirche soll für die Menschen da sein. Wenn die Menschen heute ein Ritual oder einen Text nicht mehr verstünden, müsse man es ihnen eben erklären. Also kürzere Predigten in verständlicher Sprache, aber auch eine klare Linie bei Amtshandlungen. Wenn etwa Brautpaare zu ihm kommen, die gerne nach amerikanischem Vorbild eine Übergabe der Braut von Vater an Ehemann im Gottesdienst möchten, denen erklärt Kiwitt erst in Ruhe, was für ein altertümliches Verständnis von Partnerschaft dahintersteckt – um dann deutlich zu machen: „Bis zur Mitte der Kirche könnt ihr gebracht werden, aber dann geht ihr als Paar euren Weg weiter, selbstbestimmt und gleichwertig“.

Dass Rolf Kiwitt bodenständig und nahbar ist, als Pfarrer wie als Mensch, das sieht man auf den ersten Blick. Auch fürs Foto reichen Jeans und weißes T-Shirt. Mit angegrautem Rauschebart und großer Brille wirkt er wie jemand, mit dem man gerne redet. Aber im Gespräch zeigt sich, dass er auch nachdenklich sein kann, abwägend, ein Grübler, manchmal auch ein Philosoph. Einer, der Dinge hinterfragt, der offen Kritik übt, wenn es die Umstände erfordern, aber auch dazu beitragen will, Verbesserungen umzusetzen, wo irgend möglich.

Obwohl es Widerstände konservativerer Kreise gab, wurde Kiwitt von Anfang an auf in seiner Linie bestätigt, schon bei der Suche nach seiner ersten Pfarrstelle. Damals, Anfang der 1990er, als manche Pfarrkollegen aufgrund des Überangebots an Absolventen bis zu hundert Bewerbungen schreiben mussten, waren es bei ihm lediglich zehn – mit letztlich zwei Optionen. Ein bisschen stolz macht ihn das noch heute.
Dass er sich für das Saarland entschied, hat mit der Beharrlichkeit des Kirchmeisters zu tun und ist der Liebe zum Bergbau geschuldet. „Ich bin dem Steigerlied hinterhergezogen“, sagt er schmunzelnd. Am 1. September 1992 fing er in der damaligen Kirchengemeinde Altenwald an. Seither kamen zu seinem Seelsorgebereich durch Zusammenlegungen auch noch Neuweiler und Sulzbach dazu. Immer wieder verwaltet er ein Gebiet mit vier Kirchen, zwei Kitas und mehreren tausend Gemeindegliedern allein, aufgrund von Vakanzen.

Trotz allem fand Kiwitt nebenher stets noch Zeit für das, was er neben der Gemeindearbeit als zweite große Aufgabe sah: die Seelsorge. Mitte der 1990er-Jahre war er einer der Vorreiter und Mitbegründer der Notfallseelsorge und Krisenintervention im Saarland – von Anfang an und bis heute eine ökumenische Angelegenheit. „Anfangs waren wir drei evangelische Pfarrer, drei Katholiken und ein Vertreter der Berufsfeuerwehr“, erzählt Kiwitt, der selbst Mitglied in der Feuerwehr und beim Technischen Hilfswerk ist. Dass die Notfallseelsorge als damals junges Einsatzfeld schlagartig überregionale Bekanntheit erlangte, ist auch Kiwitts Verdienst, wenn auch durch Zufall. 1997 war er als Seelsorger bei einem Brand mit Personenschaden im Einsatz, im Winter „bei minus 16 Grad“. Dabei rutschte er aus und brach sich den Arm. Die Meldung, dass der Notfallseelsorger zu Schaden gekommen war, lief über den WDR bundesweit in den Medien. „Damit war der Bann gebrochen“, erinnert sich Kiwitt. Die Notfallseelsorge wurde vom „Exotenkind“ zum anerkannten Einsatzgebiet.

In den 2000ern gaben Vereinsgründungen im Saarland und den anderen Bundesländern der Notfallseelsorge eine dauerhafte Struktur. Jährlich werden Menschen ausgebildet, um sich den Helfern in den lila Jacken anzuschließen. Nicht zuletzt auch ein Verdienst von Kiwitt, der selbst hunderte Schichten absolvierte, bis er Anfang der 2010er-Jahre auf ärztlichen Rat hin kürzertreten musste. Nach dem ersten von zwei Schlaganfällen habe der Arzt ihn gefragt, ob er helfen oder leben wolle. Kiwitt antwortete: „Beides“. „Das wird schwierig“, so die Meinung des Mediziners. Kiwitt tat trotzdem weiter, was er konnte, und häufig sogar noch mehr.

„Ich gehöre noch zu der Generation Pfarrer, die versucht, 24/7 da zu sein“, sagt er. Geklappt habe das nicht immer. Was ihm bleibt, ist die Hoffnung, Spuren hinterlassen zu haben. Nein, schüttelt er den Kopf, korrigiert sich: „Jeder hinterlässt Spuren, gute oder schlechte. Ich hoffe, dass nicht die schlechten in Erinnerung bleiben.“
Wenn er in diesem Monat zum vorläufig letzten Mal den Talar anzieht, werden sicherlich Gemeindeglieder, die er über eine Generation begleitet hat, und auch Uniformierte aus den „Blaulichterverbänden“ anwesend sein. Die Spuren, die er bei ihnen hinterlassen hat, werden noch lange erkennbar sein.

 

Info
Pfarrer Rolf Kiwitt wird am Sonntag, 14. Juli, in einem Festgottesdienst um 14 Uhr in der Evangelischen Kirche Altenwald (Sulzbachtalstraße 205) durch Superintendent Markus Karsch entpflichtet und in den Ruhestand verabschiedet. Anschließend lädt die Kirchengemeinde Sulzbach/Saar zum gemütlichen Beisammensein ins benachbarte Evangelische Gemeindehaus ein. Dabei besteht Gelegenheit, sich persönlich von Pfarrer Kiwitt zu verabschieden.

 





Zurück